Das Goldene Zeitalter der Antarktis-Forschung – im englischen Sprachraum als „Heroic Age“ (Heldenalter) bezeichnet – beschreibt eine Ära, die sich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die frühen 1920er Jahre erstreckt. Während dieser Periode von circa 25 Jahren rückte die Antarktis in den Mittelpunkt internationalen Interesses, was zu einer intensiven naturwissenschaftlichen und geographischen Erforschung führte, während derer sechzehn große Expeditionen von acht verschiedenen Ländern gestartet wurden.
Allen Expeditionen gemein waren die begrenzten Mittel, die man zur Verfügung hatte, bevor weitere Entwicklungen im Bereich der Logistik und der Kommunikationstechnologie die Arbeit der Forscher revolutionierten. Dies bedeutete, dass jede Expedition eine extreme Ausdauerleistung erforderte, die ihre Teilnehmer an die Grenzen der physischen und mentalen Leistungsfähigkeit brachte. Das Etikett „heldenhaft“, das man ihnen später verlieh, bezog sich vor allem auf die Widrigkeiten, die von diesen Pionieren überwunden werden mussten, von denen einige diese Erfahrung nicht überlebten; während dieser Zeit starben 19 Expeditionsteilnehmer.
Im Verlauf dieser Expeditionen wurden sowohl der geographische als auch der magnetische Südpol erreicht. Der Erfolg, als Erster am geographischen Südpol zu sein, war das vorrangige Ziel einiger Expeditionen und der Hauptgrund für Unternehmungen von Roald Amundsen. Dennoch war dies nur ein Aspekt der Erforschung der Polargebiete während dieser Zeit; andere Expeditionen arbeiteten mit bestimmten Zielen in verschiedenen Teilen des antarktischen Kontinents. In der Folge all dieser Aktivitäten wurde ein großer Teil der Küstenlinie des Kontinents entdeckt und kartiert und eine bedeutende Anzahl von Gebieten im Landesinneren erforscht. Die Expeditionen lieferten außerdem große Mengen wissenschaftlicher Daten und Proben in vielen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, deren Untersuchung und Analyse die Wissenschaftler weltweit über Jahrzehnte beschäftigte.
Beginn des goldenen Zeitalters
Der erste Impuls für die großen Antarktis-Expeditionen wurde während einer Vorlesung vor der Royal Geographical Society in London im Jahr 1893 gegeben. Es war John Murray von der ozeanographischen Challenger-Expedition, der 1872–1876 in antarktischen Gewässern gesegelt war. Er schlug vor, man solle eine neue Antarktis-Expedition organisieren, um „Antworten auf die offenen geographischen Fragen zu finden, die noch immer im Süden gestellt würden“. Im August 1895 verabschiedete der „Sechste Internationale Geographische Kongress“ in London eine allgemeine Resolution, die Wissenschaftler weltweit dazu aufrief, Gründe für die Erforschung der Antarktis zu bewerben „wie auch immer es am effektivsten erscheinen würde“. Solche Bestrebungen würden „nahezu jeder Sparte der Wissenschaft zugute kommen“. Der Norweger Carsten Borchgrevink, der gerade von einer Walfang-Expedition zurückgekehrt war, während der er einer der ersten war, die einen Fuß auf das antarktische Festland gesetzt hatten, hatte eine Rede vor dem Kongress gehalten. Während dieser Rede erläuterte Borchgrevink Pläne für eine große bahnbrechende Antarktis-Expedition mit einer Basis am Kap Adare.
Dennoch wurde das goldene Zeitalter letztlich 1897 durch eine Expedition des belgischen geographischen Instituts eingeläutet; Borchgrevink folgte ein Jahr später mit einer privat finanzierten Expedition. Die Bezeichnung „Heldenalter“ erfolgte erst sehr viel später. Der Begriff wird weder in den frühen Expeditions-Berichten oder Memoiren noch in den Biographien der polaren Akteure, die in den 1920er und 1930er Jahren aufkamen, erwähnt. Es ist nicht klar, wann der Begriff erstmals auftauchte oder allgemein übernommen wurde. Er wurde im März 1956 vom britischen Forscher Duncan Carse (1913–2004) benutzt, der für die Times schrieb. In einer Beschreibung der ersten Durchquerung von Südgeorgien 1916 schrieb er von „drei Männern aus dem Heldenalter der Antarktis-Forschung, ausgestattet mit einem Zimmermanns-Beil und jeweils 50 Fuß Seil zwischen sich“. Dabei ist das Wort „Heldenalter“ durchaus im eigentlichen Sinne verwendet worden. So bezeichnet man eine Zeit, in der Sagen und Mythen um große Helden entstehen, und ähnlich verhielt es sich mit den großen Persönlichkeiten in der Polarforschung der damaligen Zeit, die allesamt in ihren Heimatländern zu (National-)Helden wurden.
Expeditionen 1897–1922
Hinweise
- Die Zusammenfassungen in der Tabelle behandeln nicht die wissenschaftlichen Arbeiten während dieser Expeditionen, von denen jede Erkenntnisse und Proben für ein breites Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen mit zurückbrachte.
- Die Tabelle enthält ebenfalls weder eine der zahlreichen Walfang-Reisen, die während dieser Zeit stattfanden, noch sub-antarktische Expeditionen, wie z. B. die deutsche Valdivia-Expedition 1898–99, die nicht den antarktischen Polarkreis erreichte. Die fehlgeschlagene British Imperial Antarctic Expedition von 1920–22, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel eingestellt wurde, ist ebenfalls nicht enthalten, obwohl zwei Männer von einem norwegischen Walfänger aus an Land gingen und ein Jahr auf der antarktischen Halbinsel verbrachten.
- † kennzeichnet den Tod des Leiters während der Expedition
Todesfälle während der Expeditionen
Neunzehn Männer starben während dieser Ära bei Expeditionen in die Antarktis, fünf davon an Krankheiten, die nicht mit ihren Erlebnissen in der Antarktis zusammenhingen, und zwei bei Unfällen in Neuseeland. Die übrigen zwölf kamen im Einsatz auf oder nahe dem antarktischen Kontinent ums Leben.
Weitere vier Männer starben kurz nach ihrer Rückkehr aus der Antarktis (ausgenommen diejenigen, die im Ersten Weltkrieg fielen):
- Herluf Kløvstad, medizinischer Offizier der Southern-Cross-Expedition, 1898–1900, starb im Jahr 1900 an „Nervenfieber“.
- Jørgen Petersen, erster Maat auf der Southern Cross, starb im September 1900 auf einem Schiff während der Rückreise von Australien unter nicht näher beschriebenen Umständen.
- Bertram Armytage, ein Mitglied der Nimrod-Expedition, 1907–1909, erschoss sich am 12. März 1910.
- Fredrik Hjalmar Johansen, ein Mitglied von Amundsens Expedition, 1910–1912, erschoss sich am 4. Januar 1913.
Ende des goldenen Zeitalters
Es gibt verschiedene Ansichten darüber, wann genau das goldene Zeitalter der Antarktis-Forschung endete. Shackletons Endurance-Expedition wird manchmal als die letzte Antarktis-Expedition dieser Zeit bezeichnet. Andere Chronisten erweitern die Ära bis zu Shackletons Todestag, dem 5. Januar 1922, und bezeichnen die Shackleton-Rowett- oder Quest-Expedition, während der Shackleton starb, als das letzte Kapitel dieser Epoche. Margery und James Fisher, Shackletons Biographen, sagen dazu: „Wenn es möglich wäre, einen klaren Trennstrich zwischen dem sogenannten Heldenalter der Antarktis-Forschung und der mechanischen Epoche zu ziehen, kann man ebenso gut die Shackleton-Rowett-Expedition als Anhaltspunkt verwenden, um diesen Strich zu ziehen“. Eine Journalistin, die das Schiff besichtigte, bevor es in See stach, berichtete: „Geräte! Vorrichtungen! Technische Apparaturen überall!“. Dazu gehörten Funk, ein elektrisch beheiztes Krähennest und ein Odograph, der die Geschwindigkeit und die Route eines Schiffes ermitteln und aufzeichnen konnte.
Literatur
- Caroline Alexander: Die Endurance. Berlin-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-8270-0296-6.
- Roald Amundsen: The South Pole, Vol II. C Hurst & Co, London 1976, ISBN 0-903983-47-8.
- Stephanie Barczewski: Antarctic Destinies. Hambledon Continuum, London 2007, ISBN 978-1-84725-192-3.
- Carsten Borchgrevink: First on the Antarctic Continent. George Newnes, 1901 (englisch, google.co.uk).
- David Crane: Scott of the Antarctic: A Life of Courage, and Tragedy in the Extreme South. Harper Collins, London 2005, ISBN 0-00-715068-7.
- Ranulph Fiennes: Captain Scott. Hodder & Stoughton, London 2003, ISBN 0-340-82697-5.
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- Leonard Huxley (ed.): Scott’s Last Expedition, Vol. II. Smith, Elder & Co., London 1913.
- Max Jones: The Last Great Quest. Oxford University Press, Oxford 2003, ISBN 0-19-280483-9.
- Christian Jostmann: Das Eis und der Tod. Scott, Amundsen und das Drama am Südpol. München 2020, ISBN 978-3-406-76504-9.
- Leif Mills: Frank Wild. Caedmon of Whitby, Whitby 1999, ISBN 0-905355-48-2.
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